Unsere Ostseesegelreise mit SY Franz – Teil zwei

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Liebe Vereinsmitglieder!

Inzwischen sind wir seit vier Wochen wieder in der Heimat. Der eine oder andere von Euch hat angemerkt, dass wir bisher nur über den ersten Teil unserer langen Ostseesegelreise berichtet haben. Nun folgt der zweite. Das erste Etappenziel – die gelbe Posttonne in Törehamn – war nach 43 Tagen erreicht. Nun haben wir alle Zeit der Welt für die Rückreise – denken wir zumindest. Dass wir im weiteren Verlauf der Reise das eine oder andere Ziel auf spätere Reisen verschieben, liegt nicht nur an Sturm- oder Flautentagen. Es liegt auch an der wunderschönen Natur und örtlichen Ansiedlungen, die man genießen und besuchen möchte. Ein Seglerleben reicht vermutlich gar nicht aus, um alle Ecken und Enden der Ostsee zu erkunden.

Wir haben es jedenfalls versucht, sahen wunderschöne Schären, Inseln und Küsten. Zum Beispiel Selka-Särvi im Haparanda-Schärengarten ganz oben am Ende der Ostsee. Besondere Entspannung ist gewährleistet: Hier gibt es keinen Internetempfang! Zufällig ruft uns unser jüngster Sohn an – telefonischer Empfang geht gerade so – wir fordern gleich eine telefonische Wetterberatung bei ihm an. Und im Ergebnis segeln wir am zeitigen Abend zur finnischen Leuchtturminsel Härkäletto, die weit vor der Küste südöstlich von Kemi liegt. Hier kommen wir vor Mitternacht an – und das im schönsten Tageslicht. Beim Anblick der sehr schmalen Einfahrt frage ich Andreas noch: „Das kann doch nicht die richtige Hafeneinfahrt sein, willst Du wirklich da reinfahren?“ Andreas ist sich sicher. So legen wir an dem für unser kleines Boot gerade passenden Steg an. Das nächste kleine Abenteuer bestehen wir in Oulu, einer sehr attraktiven finnischen Großstadt auf 65° nördlicher Breite. Im ersten großen Hafenbecken wollen wir den Motor starten, aber der sagt gar nichts mehr. „Was tun, sprach Zeus, …?“ Zurück auf die windige Ostsee ist keine Option. Der Wind weht auch im Hafengebiet, wenn auch schwächer. Die Zufahrt zum Sportboothafen ist schmal und von Untiefen rechts und links gesäumt. Hier profitiert Andreas von seinen Erfahrungen beim Jollensegeln mit der Ixylon. So steuert er unter gereffter Genua zielgenau und fehlerfrei unser mehr als drei Tonnen schweres Boot an den Gästesteg. Ein finnischer Segler nimmt die Leinen an und ist sehr hilfsbereit mit Infomationen zu einer hiesigen Werkstatt für Bootsmotoren. Andreas sucht gleich nach dem Fehler beim Motor. Nach einer Stunde hat er das Problem geklärt: Ein Kabelschuh vom Magnetschalter des Anlassers war abgerutscht. Wir sind erleichtert, dass der Fehler so einfach behoben wurde. Schon beim Segeln im Industriehafen und auch im Verein beim Gästesteg werden wir von mehreren Seglern bewundert, dass wir unter Segel in den Hafen fuhren und problemlos anlegten. Während unserer Reiseetappen hier im hohen Norden werden wir öfter angesprochen von Einheimischen. Wenn sie hören, dass wir aus Deutschland mit dem Boot bis an die Küsten der Bottenwiek gekommen sind, heben sie den Daumen oder zollen uns Respekt. Dabei machen wir doch bloß Urlaub.

Nach den Tagen in Oulu segeln wir wieder an weniger bevölkerte Gestade.

Die Insel Maakalla – seit 500 Jahren ein Steuerparadies – ist eine von einheimischen Fischern genutzte Insel, deren Hütten teilweise besichtigt werden können.

Den Schärengürtel, der vor Vaasa beginnt und bis Umea° verlaufend, die Trennung zwischen Bottenwiek im Norden und Bottensee markiert, passieren wir auch nur mit einem Tag Aufenthalt zwecks Landgangs. Und dann sehen wir es in den Wetterapps und hören es von anderen Seglern. Eine Starkwindfront wird angekündigt. Wir planen die Segeletappe entsprechend.

Hier ein Auszug aus unserem Logbuch vom 04. Juli:

„Erst als wir die offene See vor den großen Inseln Bredskäret und Halsön erreichen, können wir westlich des Schärenfahrwassers kreuzen. Und das machen wir dann auch während der nächsten 24 sm. Der Wind weht anfangs mit 4, später 5 Bft. Die Segel sind beide gerefft. Soweit so gut – wir schaffen zwischen 4 bis knapp 5 kn hart am Wind, je nachdem, wie hoch die uns entgegenkommenden Wellen sind. Vor manchen hat man Respekt, wenn sie sich um einiges höher als die Reling aufgebaut haben und das Boot diesen Wellenberg erst erklimmen muss. Bergab geht es dann viel einfacher. Das erinnert mich immer an die Berg- und Talbahn, in der ich als Kind auf Jahrmärkten so gerne gefahren bin. Nach gut 32 sm hat der Wind unerwartet weiter zugenommen. Jetzt haben wir immer wieder Spitzen mit 23 kn, das sind 6 Bft. Die Wellen werden entsprechend höher. Unserem Franz fällt es immer schwerer, gegenan zu halten, wir werden langsamer. Das trübt die Stimmung an Bord nach diesem langen Segeltag. Da der Wind immer stärker wird, müssen wir noch mehr reffen. Wir machen kaum noch Fahrt gegen an und Andreas entscheidet, dass nun der Motor mithelfen muss. So geht es für die letzten 5 sm unter Großsegel mit zwei Reffs und voller Motorleistung weiter zum Ziel. Wegen der hohen Wellen müssen wir auch unter Motor kreuzen. Nun wissen wir, wo unser 28-Fuß-Boot seine Grenzen hat: bei sechs Windstärken und hohem Amwindkurs und den dazugehörenden Wellenbergen hört der Spaß am Segeln für uns auf. Wir umfahren noch die Untiefen vor Gåshällan, bevor es ins enge Fahrwasser mit viel Seitenwind zu steuern gilt. Und gleich hinter der sundartigen Enge zwischen den Schäreninseln sehen wir auch schon den Gästesteg. Nun muss das Anlegemanöver zügig gefahren werden, der Wind macht es uns nicht leicht. Andreas‘ Taktik gelingt beim ersten Anlauf: ich springe mit der Vorleine über den Entenschnabel auf den Steg und Andreas manövriert das Boot gegen den Wind achterlich an den Steg.

Als Franz sicher vertäut ist, umarmen wir uns erst mal ob der Erleichterung, dass wir die 40 sm Kreuzkurs heute geschafft haben. Wir hatten über den Tag so viel Adrenalin im Blut, dass wir jeder nur einen Apfel gegessen haben – keiner hatte Hunger. Jetzt abends 21.30 Uhr MSZ – finnische Ortszeit 22.30 Uhr – haben wir uns das Anlegebier redlich verdient. Der Sonnenuntergang färbt den Himmel im Nordwesten glutrot und gleichzeitig taucht im Nordosten das Morgenlicht der aufgehenden Sonne auf. Das sieht phantastisch aus! Die nächsten vier Tage mit Starkwind werden wir hier auf der Insel abwettern, am Sonntag soll es mit bis zu 40 kn blasen, da kann es auch locker in die 9 Bft gehen. Und das wollen wir auf See nicht erleben, wenn der Kurs dahin geht, wo der Wind herkommt.“

In den nächsten Tagen segeln wir südwärts, übernachten in den Schären vor der Küste, einzig die Stadt Rauma mit ihrem attraktiven historischen Holzhausviertel besuchen wir, bevor wir am Ende der Bottensee westwärts zu den A°landinseln segeln – naja, zum Teil auch motoren, wenn Rasmus uns nicht gut gesonnen ist. Auch hier „hetzen“ wir von Schäre zu Schäre. Landgänge nutzen wir zum Besuch historischer Orte: auf Enklinge besichtigen wir einen großen Bauernhof, der fast im originalen Zustand erhalten ist, auf Festlands-A°land, wie die größte Schäre von den Einheimischen genannt wird, besichtigen wir die mittelalterliche Burg am früheren Hauptort der A°lands Kastelholm und einen Fjord weiter westwärts führt uns der Seeweg zur Saltvik und dem Ort Kvarnbo.

Hier gab es vor Jahrhunderten einen sehr bedeutenden Handelsplatz der Wikinger, vor allem Salz wurde gehandelt, wie der Name Saltvik andeutet. Durch die Landhebung Skandinaviens nach der letzten Eiszeit ist auch hier so mancher Hafen zu flach geworden oder gar verlandet. So haben sich die damaligen Bewohner notgedrungen an anderen Küstenorten neu angesiedelt.

In Kvarnbo, dem Ort an der Bucht Saltvik wird seit langem die Tradition der Vorfahren am Leben erhalten. Wir haben hier ein Wikingerfest besucht. Auf den Wiesen des Dorfes lagern die heutigen Wikinger in ihren sehr gut ausgestatteten Zelten. Ganze Familien haben sich der Pflege dieser Tradition verschrieben. Die Bekleidung, die Einrichtungen der Zelte und stationären Gebäude, die Werkzeuge und das Feuer der arbeitenden Schmiede, die webenden Frauen, die Schnitzkunst, die Gebrauchsgegenstände und Zierrat hervorbringt, lassen uns einen Hauch des Wikingerlebens von einst miterleben. Den Besuchern des Festes wird ein kleines Spektakel geboten: der Zug der Wikinger kommt unter musikalischer Begleitung von Trommeln, Dudelsack, Laute, Fidel und Flöte auf das Festgelände. Hier führen sie uns Zuschauern ihre Kampfkünste vor. An den Marktständen können Interessierte allerlei Dinge erstehen, die schon den alten Wikingern das Leben erleichtert oder versüßt haben. Und so kommen wir auch ins Gespräch, nachdem sich herausstellt, dass Markthändlerin und Kunden deutsch sprechen.

Die Zeit bleibt nicht stehen, wir verholen uns nach Mariehamn. Die Stadt ist erst vor gut 160 Jahren gegründet worden, unser Ziel ist ihr Westhafen. Hier liegt seit langem die Viermastbark „Pommerm“, einer der legendären P-Liner, die als segelnde Frachtschiffe früher die Welt bereisten.

Als Museumsschiff können wir sie ausgiebig besichtigen, ebenso das Schifffahrtsmuseum. Beeindruckend sind neben dem ausgestellten Schiffszubehör und Einrichtungen auch Briefe, die von den Seeleuten bzw. ihren Angehörigen hin und her geschrieben wurden und damit die emotionale Seite der Seefahrt nachfühlbar machen.

Von den A°landinseln geht es weiter über den Stockholmer Schärengarten auf die freie Ostsee hinaus. Gotska Sandön ist eine Zwischenetappe für uns, um nach Gotland zu gelangen. Wir hatten uns etwas beeilt, um nach Gotland zu kommen. Hier findet gerade die Mittelalterwoche statt. Am zeitigen Abend kommt eine kleine Prozession mit Menschen aus längst vergangener Zeit in den Gästehafen und besucht jeden einzelnen Steg. Piratenfahnen werden geschwenkt, nicht nur zu Land, auch vom Wasser aus werden wir von Piraten in Schlauchbooten mit Wasserpistolen „bedroht“. Wir können uns freikaufen – mit einer Flasche Stierbier, die nun schon über zweitausend Seemeilen über die Ostsee geschippert ist. Sie wird dankend angenommen vom Piratenkapitän und hoch gelobt: „exzellentes Premiumpilsner“, wie er lautstark bemerkt. Die nächsten Tage spazieren wir durch Visby, diese kleine Perle der mittelalterlichen Städte. Auch beim vierten oder fünften Spaziergang findet man noch eine Gasse oder ein Eckchen, das uns noch unbekannt ist. Auch wegen Starkwind bleiben wir so lange in Visby, langweilig wird es nicht.

Als Rasmus ein Einsehen hat, segeln wir nach Öland. Im Norden ankern wir in der Bucht Grankullavik, rudern mit dem Schlauchboot an Land, um im Trollskogens Naturreservat eine Wanderung zu unternehmen. Südwärts landen wir nach einem herrlichen Segeltag in Borgholm, besuchen die alte, sehr große Schlossruine. Und weiter geht es nach Färjestaden, dem alten Fährhafen neben der Ölandsbron. Knapp 5 km vom Hafen entfernt gibt es etwas Sehenswertes. Der über 1.000 Jahre alte Karlevistenen, ein Runenstein, das Grabmal eines Wikingers mit besonderen Inschriften ist inmitten der Felder zu besichtigen. Er wird als schwedisches Kulturgut betrachtet.

Die nächsten Tage verbringen wir im Norden der Hanöbucht, befahren die Blekkingeschären, die wir zum Teil schon auf früheren Reisen besuchten. Wir verbringen die Tage mit Wohlfühlen an Bord oder auch mit kleinen Wanderungen auf den Schären. Und die Rückfahrt gen Süden ist unausweichlich. Einen attraktiven Ausflug gönnen wir uns noch in Skillinge. Hier in der Nähe befindet sich, mit dem Fahrrad erreichbar, die Burg Gimmlingehus. Die Besichtigung des Burghauses vom Kellergeschoss bis hinauf zum Schützenboden ist sehr interessant. Diese mittelalterliche Burg soll die besterhaltene in Skandinavien sein. Der nächste Tag ist wieder sportlich. Knapp 75 sm sind es von Skillinge bis zum Gellen von Hiddensee, die wir bei wechselnden Winden mit Reffen, Ausreffen, Reffen, Ausreffen u. s. w. absolvieren, bis wir in dunkler Nacht mit Taschenlampen bewaffnet die teils unbeleuchteten Tonnen des inneren Fahrwassers anleuchten, um den Weg zum Ankerplatz nahe des Gellen-Leuchtturms zu finden.

Wir erfreuen uns an dem für diese Spätsommerwochen untypischen warmen Temperaturen – es fühlt sich an wie im Hochsommer. Solch ein Wetter haben wir in den nördlicheren Breiten in den vergangenen Wochen nicht erlebt. Abends sitzen wir unter dem Sternenzelt mit seinen unzählbaren Lichtpunkten – ich denke, in der Südsee kann es auch nicht schöner sein. Unser Jüngster hat Glück, er besuchte uns am Wochenende und hatte Segelspaß vom Dänholm, um den Dornbusch herum bis zum Ankerplatz an der Westküste von Hiddensee. Hier ist das Wasser herrlich klar, schimmert wegen der Sonnenstrahlen in hellgrünen bis türkisfarbenen Tönen.

Weiter führt uns die Reise nach Sellin und auf den Zicker See. Unausweichlich müssen wir die Rückreise im Binnenbereich planen. Das angekündigte Hochwasser auf der Oder bringt uns etwas unter Zeitdruck. Wir möchten vor der Hochwasserwelle die Westoder verlassen haben. So nehmen wir vom Greifswalder Bodden aus den direkten Weg zum Oderhaff über Swinemünde, legen auf dem Dammschen See den Mast und landen nach einem Zwischenaufenthalt in Marienwerder wohlbehalten nach 148 Tagen am 23.09. im Heimathafen an.

Wir wünschen allen Mitgliedern eine geruhsame und gesunde Herbst- und Wintersaison!

Dörte und Andreas

Oktober 2024

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